Lykanthropie
Zur Begriffsbildung
Es gibt mehrere Möglichkeiten der Deutung des Begriffs 'Lykanthropie':
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Das altgriechische Wort 'Lycanthropos', was in der Übersetzung 'Waldmensch'
bedeutet. Doch hat ein Waldmensch nur sehr wenig mit den Sagengestalten gemein,
mit denen wir uns hier beschäftigen wollen. Jedoch finden sich in dem Wort
Lycanthropos zwei Wortstämme, die zu einer weitaus interessanteren Deutung
führen.
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In Lykanthropie stecken die griechischen Wörter Lycos (Wolf) und Anthropos
(Mensch). Daraus ableiten lässt sich eine Bezeichnung für Menschen, die
tierische Merkmale (hier die des Wolfes) oder aber für Wölfe, die
menschliche Merkmale aufweisen. Es ist jedoch leicht einzusehen, dass der Fokus
hier auf das Menschsein gerichtet ist und daher die erstere Variante an Bedeutung
gewinnt. Hieraus ergeben sich die verschiedensten Manifesten der Lykanthropie
angefangen von Besessenheit über Shapeshifting bis zu psychokinetischen
Projektionen. Dazu unten aber mehr…
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In Lycanthropos findet sich jedoch neben der Wortpaarung Lycos und Anthropos die
folgende: Lycaon und Anthropos. Dies führt zu einer weiteren sehr interessanten
Begriffsdeutung:
Lycaon war König von Arkadien und war der Sohn des Pelasgos und der Meliboier bzw. der Kyllene. Er hatte 50 Söhne, die sich gleich ihm durch besondere Grausamkeit auszeichneten. Als Zeus ihn besuchte, setzte ihm Lycaon einen zerstückelten Knaben zum Mahle vor. Dies erzürnte den Gott dermaßen, dass er Lycaon und seine Familie mit einem Blitz vernichtete. Die Mythologie bietet jedoch eine zweite Version dieser Überlieferung, in der Lycaon in einen Wolf verwandelt wurde und Zeus die Deukalionische Sintflut schickte, die den größten Teil der Menschheit auslöschte.
Was versteht man unter Lykanthropie?
Im Allgemeinen ist mit dem Begriff der Lykanthropie der Glaube verbunden, Menschen
könnten sich in bestimmte Raubtiere verwandeln.
Lykanthrop bezeichnet nicht nur den Werwolf ("wer" von lateinisch "vir"; Mann),
sondern entsprechend den lokalen Traditionen den Werbären (altnordisch berserk;
Bärenhäuter), oder im außereuropäischen Bereich Wertiger, Werleoparden usw.
Die Verwandlung gilt als reversibel.
Die Interpretationen des Phänomens reichen von absolutem Aberglauben, über rein
psychologische Deutungen, bis hin zu parapsychologisch fundierten Interpretationen.
Hierher gehören Traumbilder und Visionen mit Elementen der außersinnlichen
Wahrnehmungen (folgend mit ASW bezeichnet), die den
Erlebnisträger sich selbst in Tiergestalt sehen lassen, aber auch das
mentalsuggestive Beeinflussen von Tieren (magische Faszination):
Der Wille eines Menschen besetzt gleichsam das Tier.
Solche Deutungen schließen wahrscheinlich schon psychokinetische Elemente ein.
Eindeutig psychokinetisch wäre das ebenfalls behauptete Phänomen, bestimmten
Menschen gelänge es, Materialisationen von Raubtieren agieren zu lassen.
Eine Form von außersinnlicher Wahrnehmung (ASW) läge vor, wenn Menschen mentalsuggestiv andere durch
Tierphantome attackieren könnten (Alp).
Ein psychokinetisches Phänomen eigener Art bildete die allerdings von nur sehr
wenigen Forschern für möglich gehaltene tatsächliche Verwandlung (in einer
abgeschwächten Form: die Seelenexkursion in Tiergestalt).
In den Umkreis der Lykanthropie gehören auch die zahlreichen, der klassischen Psychiatrie bekannten Beispiele vermeintlicher Wölfe, Katzen, Hunde usw.
- Österreich (1921) teilt den Fall eines japanischen Mädchens mit, das, von einem Fuchs besessen, die Verhaltensweisen eines Fuchses zeigte.
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Der Glaube an eine mögliche Verwandlung in Vögel (Raben, Schwanenjungfrauen)
wird nicht den Lykanthropie-Vorstellungen zugerechnet.
- Davon nochmals abzusetzen ist die Vorstellung vom Seelenvogel (die Seele eines Verstorbenen lebt als Vogel weiter). Z. B. das Herrgottsvögelchen (ein hessischer Volksglaube) oder die Tauben als die Seelentiere von Aschenbrödels Mutter.
Das Mittelalter nahm das Problem der Tierverwandlung sehr ernst: So untersuchte z.B. Augustinus die Frage, ob die Verwandlung eines Mannes in einen Esel, die der röm. Schriftsteller Apulejus (um 125 n. Chr.) beschreibt, überhaupt möglich sein könnte.
Im 15. und 16. Jahrhundert wurde die Lykanthropie monographisch bearbeitet. Man
betrachtete sie als eine Form der Teufelsbesessenheit:
Nach dem 'Malleus maleficarum' ist der Werwolf kein wirkliches Tier, auch kein
verwandelter Mensch, sondern ein Trugbild des Teufels.
Thomas von Aquin sah in den Werwölfen dämonenerzeugte Scheinwesen. Eine
tatsächliche Verwandlung hielt er für unvereinbar mit den göttlichen Naturgesetzen.
Die Religionsethnologie sieht in der Lykanthropie eine in psychopathologische Bereiche dringende Zerfallserscheinung der alten Wolfsmythologie.
Der Parapsychologie bleibt die Aufgabe zu untersuchen, welche paranormalen Elemente sich in ihr manifestieren.
Zuletzt geändert am 21.04.2020