Mythen, Legenden und Märchen
Kaum ein anderes Tier wurde in die Mythenwelt der Urvölker der Nordhalbkugel so
tief integriert, kaum ein anderes hat in ihrer Kulturgeschichte so eine große
Rolle gespielt wie der Wolf (Canis lupus). Wo immer er mit dem
Menschen in Kontakt kam, hat er Märchen und Legenden beeinflusst, in denen ihm
stets eine mystische Rolle zukam. In der germanischen Mythologie begleiteten
stets zwei Wölfe, Geri und Freki, den Toten- und Kriegsgott Wotan. Jedoch
verhieß ihm die Mythologie, dass er beim Weltuntergang vom Fenriswolf
verschlungen würde.
Romulus und Remus, die Gründer Roms, wurden der römischen Sage nach von
einer Wölfin gesäugt und beschützt, bis sie vom Schäfer Faustulus gefunden
und großgezogen wurden.
Die Indianer Nordamerikas sahen in dem Wolf einen Bruder und fühlten sich gar
Wolfsclans zugehörig. Und auch die Daker, ein Urvolk des heutigen Europas,
welches in der Gegend des heutigen Rumäniens lebte, verehrten den Wolf und
trugen sein Symbol auf ihrer Kriegsflagge.
Das Bild änderte sich jedoch, als der Mensch sesshaft wurde und begann, lebende
Tiere quasi als "lebende Vorratskammer" zu halten. Plötzlich trat der Wolf in
direkte Konkurrenz zu dem Menschen, was dazu führte, dass sein Bild gerade ins
Gegenteil verklärt wurde. Waren dem Wolf ursprünglich positive Eigenschaften
zugeschrieben, wurde er zum Inbegriff des Bösen.
In Fabeln und Märchen tauchte er von nun an als der dumme, gefräßige und
bösartige Isegrim auf. Die Märchen von Rotkäppchen und den sieben Geißlein
wird wohl jeder aus seiner Kindheit kennen, in denen er die sieben Geißlein
oder des Rotkäppchens Großmutter fraß.
Selbst die Kirche verteufelte den Wolf. Und die Dämonisierung dieses
Raubtiers passte gut in das damalige Weltbild, in dem sehr bald zu
Hexenglauben und Inquisition das Bild des
Werwolfes hinzukam. Der
Mensch im Wolfspelz war geboren, der für bestialische Morde verantwortlich
gemacht wurde und für die tiefsten Abgründe des menschlichen Seins stand. Sex
und Vergewaltigung, Mord und Totschlag, Blutrausch und Unglaube waren die
Insignien des Werwolfes und viele Legenden rankten sich um Menschen mit
vermeintlicher
Lykanthropie. Im
Zeitalter der Aufklärung verschwand die mystische Dämonisierung des Wolfes
weitgehendst wieder. Jedoch hält sich der Begriff des Werwolfs, angeheizt
durch Horrorfilme im Fernsehen und Romane, in unserer Gesellschaft.
Insbesondere in isolierten und ländlichen Gebieten Süd- und Osteuropas
wird immer noch an Werwölfe geglaubt.
Auch in jüngerer Vergangenheit wurde sich der Symbolik des Wolfes für Kraft und Macht bedient. So nannte Adolf Hitler sein Hauptquartier in Ostpreußen "Wolfsschanze". In der Türkei nennt sich eine rechtsextreme Partei "Graue Wölfe", und wer heute das Internet nach Wölfen durchsucht, findet immer wieder Seiten mit schamanischem Inhalt, die sich an die Mystik des Wolfes anlehnen.
Zuletzt geändert am 21.04.2020